Nachtsurfen

Wenn ich mich nachts im Bett, gefühlte hundert Male gedreht habe, und festgestellt habe, dass sich weder die linke noch die rechte Seite so richtig zur Entspannung geeignet anfühlt, und auf dem Rücken schon gar nicht. Dann kapituliere ich und stehe auf.

Leise, damit mein, mit tiefen Atemzügen, vor-sich-hin schnarchender Ehemann nicht gestört wird, tappe ich durchs Zimmer. Im nächsten Augenblick knalle ich gegen den Bettpfosten. Autsch! Lautlos fluchend und jammernd halte ich meinen Zeh. "Was ist los?", fragt mein Mann, als hätte er nie geschlafen. "Nichts!", flüstere ich und hinke aus dem Zimmer. Mein Ziel: Der Computer im Nebenzimmer.

Wenn mir langweilig ist und ich nicht schlafen kann, surfe ich ein Bisschen im grossen world wide web. Im riesigen Angebot findet man immer irgendetwas Interessantes. Neue Männer, neue Schuhe, exotische Menüvorschläge, oder Essensersatz, schnugelige Haustiere, Reiseferien. Alles da. Man braucht nur zu klicken, und schon taucht man ein in eine andere Welt. Oder wie wäre es mit einem neuen Auto? Was darf es denn sein? Einen Porsche? Oder besser ökonomisch, einen Tesla vielleicht? Kucken kostet ja nichts.

Ferien auf dem Reithof? Auch im Angebot, ganz günstig, leider die nächste Saison schon ausgebucht. Eine Flussschiffahrt gefällig? Oder besser eine Kreuzfahrt? Alles da. Mit einem Klick bin ich dabei, und kann sogar durch die live-geschaltete Outdoorkamera gleich ein Stück übers Wasser mitfahren.

Alles herrlich. Alles kein Problem. Alles, ohne Koffern zu packen. Am Computer sind meinen Wünschen keine Grenzen gesetzt. Ich kann alles begutachten, nachlesen und in fremde Kulturen eintauchen. Ich kann mit Anschaffungen liebäugeln, die mein Portemonnaie und das meines Mannes bei weitem übertreffen. Das ist mind-fucking, aber wunderbar. Und das Beste, es ist alles Gratis. Und wenn ich genug habe, kann ich diese Welt ebenso leichtfüssig verlassen. Wenn mir müde die Augen zuzufallen drohen, fahre ich den Rechner wieder herunter.

Im Bewusstsein, alles zu können und nichts zu müssen, betrete ich das Schlafzimmer. Leise schleiche ich durch den dunklen Raum, wo immer noch die schnarrenden Atemzüge meines Mannes zu hören sind. Erneut stosse ich meinen Zeh gegen den vermaledeiten Bettpfosten. Aua! Ich hüpfe lautlos jammernd in mein Bett und stosse wüste Drohungen gegen das Ding aus. Mein Mann dreht sich murmelnd auf die andere Seite.

Beschwingt von all den unbegrenzten Möglichkeiten, vergesse ich den schmerzenden Zeh und schlummere ein.