Wanderung in langen Unterhosen

«Nicht den Jakobsweg, aber so ähnlich.» Am Anfang stand diese Idee meiner Schwester Ruth, worauf wir eine Mehrtageswanderung planten. Unsere Wahl fiel auf das Lavaux-Gebiet, wir wollten quasi quer durch das «Weltkulturerbe» wandern. Als wir uns in Lausanne trafen, war der erster Eindruck: Sonnig, aber saukalt! Diese Biese! «Hast du lange Unterhosen dabei?», wurde ich gleich zu Beginn gefragt. Mit dabei waren ausser meinen Schwestern Ruth und Isa, die Freundinnen Heidi und Käte. Wer noch nicht warm genug eingepackt war, zog sich schnell etwas über. Gut gepolstert starteten wir. Die Route schlängelte sich entlang des Ufers des Genfersees. Die Sonne glänzte vom Himmel, die Rebberge zogen sich über die Hänge, bis zum tiefblauen Wasser und dahinter erhoben sich die schneebedeckten Bergen. Es war ein Panorama wie im Film. Nur die eisigen Böen liessen uns in die wärmende Kleidung ducken.

Da wir alle etwas ältere Modelle waren, wurde unser Vorwärtsdrang immer wieder mal vom Drang der Blase unterbrochen, und der folgenden Suche nach einer Toilette. So lernten wir auf der Reise nebst dem Kulturerbe auch eine breite Palette von öffentlichen WCs kennen. Nach einiger Zeit, wir bewegten uns an der Peripherie von Lausanne, wo Joggerinnen und Oben-ohne-Sprinter um uns herum tippelten, trafen wir auf ein spezielles Klosett. Es war komplett aus Glas, hatte also durchsichtige Wände. War das ein Scherz?

Dem Ruf der Natur folgend, trat Ruth ein und zeigte uns, wie es funktionierte. Durch die Verriegelung verwandelte sich das Glas und wurde eingetrübt und für Blicke undurchdringbar. Dann kam ich dran, ging hinein und drückte eine Taste bei der Tür. Da nichts geschah, rief ich: «Seht ihr mich noch?» «Nei-hein!», kam die Antwort. Okay, dachte ich, ich sehe euch zwar noch, aber vielleicht ist die Scheibe nur von aussen trübe und von innen verspiegelt.

Ich wollte gerade Platz nehmen und versuchte mich trotz des Gekichers draussen, zu konzentrieren, kam der Ruf: «Eveline halt! Wir können dich sehen. Du hast den falschen Knopf erwischt!» Mit einem Satz war ich an der Tür und tatsächlich, sie war nur angelehnt. Am Rahmen entdeckte ich noch einen Schalter. Gedrückt, trübte sich das Glas nun ein. Natürlich hatte Isa gleich alles mit dem Handy gefilmt, und als ich das stille Örtchen verliess, ging das Video bereits viral unter ihren Freundinnen.

Lachend zogen wir weiter. Als wir hungrig wurden, setzten wir uns ans Ufer und packten den Proviant aus. Träge in die Sonne blinzelnd, verfolgten wir die Bemühungen von drei Windsurf-AnfängerInnen. Sie versuchten, auf dem Surfbrett zu stehen oder es zu wenden. Beides schien bei den heftigen Böen unmöglich. Derweil ihre InstruktorIn zwischen den SchülerInnen mit einem Schlauchboot hin und her kurvte.

«Der links aussen, das ist eine Kämpfernatur und hat meinen Respekt. Schau, der ist bereits fünfzehn mal reingefallen, aber gibt nicht auf und klettert immer wieder hoch, um für einen Augenblick stehen zu können, bevor es ihn erneut umhaut. Und das bei der Kälte!», ereiferte sich Heidi. Isa hielt dagegen: «Ich finde, der ganz hinten rechts, das ist der Mutigste. Der ist so weit draussen und weiss offenbar nicht wie man das Segel wendet, oder es gelingt ihm nicht bei dem Sturm. Den können sie bald drüben in Frankreich abholen.» So gingen die Wetten hin und her, bis: «Aufbruch Girls!», und wir trotteten weiter in Richtung Morges.

Wir hatten geplant, in vier Tagen von Lausanne nach Genf zu wandern, oder solange unsere Füsse es aushielten. Anstelle des Gepäcks trug jede einen Rucksack, der mit möglichst leichten Utensilien gepackt war. Die Etappen waren unterschiedlich gross, verliefen jedoch immer in der Nähe einer Buslinie oder eines Bahnhofs. So dass wir, sollten wir erschöpft liegen bleiben, bis zum nächsten Hotel fahren konnten.

Nach dem ersten Tag verabschiedete sich Käte, sie musste die Enkel hüten. Und einen Tag später ging auch Heidi, sie hatte einen Impftermin. Zum Abschied hielten wir auf einer Bank in der Sonne, vom Wind geschützt, einen Apero mit Weisswein, dazu assen wir Käse und Salzstangen. Noch am selben Abend musste auch Ruth überstürzt abreisen, ihr Kater war schwerkrank geworden. Die Reise war aber noch nicht zu Ende. Isa und ich beschlossen weiter zu ziehen. Trotz anhaltender Biese, war es sonnig. Wir bewegten uns im Einzugsgebiet von Genf und längst waren die Weinberge grossen Gutshöfen gewichen. Einem französischen Grenzflüsschen folgend, kamen wir durch ein Naturschutzgebiet. Unterwegs sammelten wir einmalige Eindrücke, zum Beispiel wie sich eine Feldlerche singend in den Himmel schraubte.

Schliesslich stiegen wir in eine S-Bahn, die uns an die Seepromenade brachte. Die Abendsonne leuchteten die stattlichen Häuserzeilen des Genfer Eaux-Vives Quartiers aus und dahinter ragte der schneebedeckte Salève auf. Eine Stimmung, die zum Verweilen einlud. Wenn nur diese Biese nicht wäre! Von da schlenderten wir hinunter bis zur City und hatten unser Ziel erreicht. An einem Stand stärkten wir uns zum Schluss mit Crèpes au citron und Kaffee. Etwas wehmütig verliessen wir Genf und setzten uns müde, aber glücklich in den Zug in Richtung Zürich. Wir nahmen lustige Erinnerungen mit heim, und wollten uns merken, was sich verbessern liesse. Denn wir werden bestimmt wieder mal eine solche Fussreise planen.

Als ich zu Hause ausstieg, bliess mir eine kühle Brise ins Gesicht. Inzwischen war es Nacht, und der Taxistand war leer. Entschlossen knöpfte ich die Jacke hoch, zog die Mütze an, wickelte mir den Schal fester um den Hals und machte mich auf den nach Hauseweg. Schön, wieder Daheim zu sein, dachte ich. Aber diese Biese!