Auf dem Boden bleiben oder nach den Sternen greifen?

Jeder Mensch ist anders gestrickt. Die einen lieben Sicherheit, planen gerne im Voraus und freuen sich, wenn alles genauso eintrifft wie sie es sich zurechtgelegt haben. Die anderen lieben das Risiko, für sie muss mehr drin liegen, als nur das, was jeder mit etwas Glück abkriegen könnte. Wenn sie sich schon die Mühe machen, dann soll es volle Kanne einschenken.

Der Griff nach den Sternen ist heute so selbstverständlich wie sonst nie. Mit den Mitteln der heutigen Social Media ist nach den Sternen zu greifen quasi Programm. Jeder, der etwas auf sich hält, ist versucht, das Unmögliche möglich zu machen, frei nach dem Motto: Warum sich mit wenig zufriedengeben? Täglich wird einem im Internet vor Augen geführt, wie man berühmt werden kann. Wie kinderleicht – über Nacht - aus dem Nichts heraus. Warum gelingt mir das nicht, fragt man sich. Was ist an mir, dass ich es nicht schaffe? Lastet ein Fluch auf mir?

Für die Leser scheinen die "Sterne" zum Greifen nah, bleiben aber trotzdem unerreichbar. Denn was nicht in den Clips der Erfolgreichsten gezeigt wird, ist dass sie dafür jahrelang geübt, geprobt und geackert haben. Mit Blick auf die Sterne blieben sie am Boden.

Was ist besser? Alles zu planen, das kann tödlich langweilig sein. Was geschieht, wenn der Plan nicht aufgeht? Es folgt die grosse Enttäuschung. Wenn man Kinder aufzieht, Haustiere betreut oder Menschen pflegt, ist Kontinuität und Verlässlichkeit sehr wichtig und am richtigen Platz. Andere wiederum möchten nichts riskieren und haben lieber alles besprochen, durchdacht und terminiert. Greift man nach den Sternen, setzt man alles aufs Spiel. Wenn es nicht klappt, verliert man oft mehr als nur den Einsatz. Die grosse Enttäuschung gibt es hier auch, das gehört zum Berufsrisiko. Man leckt sich die Wunden und fasst die nächste Herausforderung ins Auge.

Und dann sind da die Liebenden, das wohl grösste Phänomen. Sie greifen nach den Sternen und riskieren lächelnd Kopf und Kragen. Ob man sich seit Kindergarten kennt oder sich in jemand wildfremden Hals über Kopf verliebt, beides kann funktionieren. Die Liebe setzt eine wahnsinnige Kraft frei, mit dessen Hilfe man Berge versetzen kann. Sie lässt einem zu Höhenflügen ansetzen und kann einem ins tiefste Leid stürzen.

Die Künstler lieben dieses Himmelhoch-Jauchzende und zu Tode-Betrübt und schaffen im Liebestaumel oder mit Mordlust faszinierende Werke. Sie sind mit Leidenschaft und Hingabe an ihren Werken und stecken Herz und Seele hinein. Sie greifen hoch. Doch, um sich das Kunsthandwerk anzueignen, bleibt man auf dem Boden des Fleisses. So braucht es für die Schaffung eines Kunstwerkes beide Komponenten, um zu reüssieren. Der Virtuose, der nicht täglich mehrere Stunden übt, wäre schnell ungeschickt. Dafür erhalten sie etwas, das man mit Geld nicht aufwiegen kann, Ruhm und Selbstbestätigung.

Ist man endlich berühmt, gibt es keine Garantie, dass man berühmt bleibt. In der heutigen informations-überladenen Zeit gerät man schnell in Vergessenheit. Reichte es früher alle Jahre mal eine Anekdote oder über das neueste Werk des Künstlers zu lesen, so hat sich das komplett geändert. Man muss aktiv am Berühmt-Bleiben arbeiten. Mindestens monatlich müssen all die 'Filmsternchen' und 'Promis' von sich hören lassen. Da liest man dann so interessantes wie 'Topmodels'-Hund hat Flugangst' oder 'ich ekelte mich beim ersten Zungenkuss, vor zwanzig Jahren'.

Hätten all die berühmten Künstler, Dirigenten und Autoren nie nach den Sternen gegriffen, wären sie wohl nie so erfolgreich geworden. Doch man sollte nie vergessen, wie Einstein sagte: Erfolg besteht aus neunzig Prozent Perspiration und zehn Prozent Inspiration.